Mehrsprachigkeit und Diversität
Die Schülerinnen und Schüler im DaZ-Unterricht sprechen in der Familie und/oder in der Umgebung eine (oder mehrere) andere Sprache(n) als Deutsch. Sie verfügen – wie alle Schülerinnen und Schüler – über ein vielfältiges sprachliches Repertoire und bringen diese individuelle (lebensweltliche) Mehrsprachigkeit in die Schule und in den Unterricht mit (Busch, 2021). Für einen wertschätzenden und produktiven Umgang mit diesem Sprachenschatz sind eine positive Grundhaltung sowie das Zulassen und Wert-schätzen von Mehrsprachigkeit von jeder Lehrperson, unabhängig vom Unterrichtsfach, und im gesamten Kollegium Voraussetzung, wie auch der Wille zum Einbezug und zur Förderung aller Sprachen am Standort. Das Sichtbarmachen von allen am Schulstandort vorkommenden Sprachen sowie das Nutzbarmachen von Sprachen für ein vernetztes Lernen tragen zur Identitätsbildung der einzelnen Lernenden bei, wirken sich positiv auf das fachliche Lernen aus und fördern das gesamtsprachliche Lernen aller, wofür ein fächerübergreifendes sprachpädagogisches Konzept notwendig ist („inklusive Sprachbildung“). Demnach bieten alle Lehrpersonen eine anregende, sprachenfreundliche Lernumgebung und kooperieren mit dem DaZ- und dem Erstsprachenunterricht. Aktivitäten zum Einbezug von Mehrsprachigkeit für die ganze Schule bilden das Selbstverständnis der Institution als eine inklusive und mehrsprachige ab.
Der kompakte Artikel „Lebensweltliche Mehrsprachigkeit. Normalität in unseren Schulen“ (2015) von Bainski und Trujillo wirft einen Blick auf die engen Wechselbeziehungen zwischen Migration, Mehrsprachigkeit und staatlich organisierter Bildung.
Informationen und Tipps aus der Praxis für eine durchgängige Begleitung der Sprachentwicklung bietet der Orientierungsrahmen „Fünf Bausteine umfassender sprachlicher Bildung. Basiswissen für die Volksschule / Sekundarstufe I“ (Amt der Vorarlberger Landesregierung, 2018). Baustein 2 beschreibt das Thema Mehrsprachigkeit.
Das PUMA-Faltplakat „Meine Sprachen“ des Österreichischen Sprachen-Kompetenz-Zentrums (ÖSZ) bietet vielfältige Impulse für eine alltagsintegrierte, ganzheitliche sprachliche Bildung im Kindergarten und in der Volksschule und wird in 11 Sprachen zur Verfügung gestellt.
Mit dem Themenpaket „Mehrsprachigkeit“ bietet das Sprachliche Bildung im Kontext von Migration und Mehrsprachigkeit (BIMM) auf seiner Themenplattform einen guten Einstieg ins Thema und Möglichkeiten zur Vertiefung.
Die Handreichung „Mehrsprachige Unterrichtselemente“ (Mercator, 2021) liefert angehenden und aktiven Lehrkräften aller Fächer der Sekundarstufe I zum Einstieg in diesen Themenbereich Antworten auf grundlegende Fragen zu mehrsprachigen Unterrichtselementen sowie 13 Unterrichtsvorschläge.
Auch die kulturbezogenen Perspektiven einer mehrsprachigen Gesellschaft werden in der Schule aufgegriffen. Ein Austausch über kulturell und sozial kodierte Handlungen in allen Fächern fördert kulturreflexive Kompetenz sowie den sozialen Zusammenhalt und unterstützt die Schülerinnen und Schüler beim Aufbau und Ausbau ihrer kulturbezogenen Handlungsfähigkeit.
Der Grundsatzerlass „Interkulturelle Bildung“ beschreibt auf Basis aktueller Konzepte der kulturreflexiven Bildung deren Ziele und Umsetzungsmöglichkeiten im Unterricht aller Fächer.
Das Handbuch „VIELFALT erLEBEN – GEMEINSCHAFT GESTALTEN!“ (2014) des Interkulturellen Zentrums Wien stellt Methoden und Projektideen für die Schule und Jugendarbeit vor, die eine sensible Auseinandersetzung mit „Vielfalt“ ermöglichen, gegenseitigen Respekt und Toleranz fördern und zu einem „friedvollen Miteinander“ anregen.
Der DaZ-Unterricht ist Teil dieser mehrsprachigen und diversitätssensiblen Bildung, wofür die DaZ-Lehrperson auf verschiedenen Ebenen Sprache(n) sowie kulturbezogene und diskriminierungskritische Perspektiven berücksichtigt, zum Thema macht und in Lernprozesse sowie in die Vermittlung der (neuen) Sprache Deutsch einbindet.
Mit dem Themenpaket „Othering – Zuschreibungen reflektieren“ auf der Themenplattform des Sprachliche Bildung im Kontext von Migration und Mehrsprachigkeit (BIMM) wird ein Blick aus unterschiedlichen Perspektiven auf die Mechanismen von Zuschreibungen und deren Auswirkungen geworfen, auch im Kontext von Schule.
Festmann, J. (Hrsg.). (2021). Deutsch lehren und lernen – diversitätssensible Vermittlung und Förderung. Waxmann.
Eltern am Sprachenlernen beteiligen
Die DaZ-Lehrperson vermittelt den Lernenden und ihren Eltern/Erziehungsberechtigten die Bedeutung einer Weiterentwicklung der Erstsprache(n). Sie motiviert zu deren Verwendung in der Familie und zum Besuch des Erstsprachenunterrichts. Sie klärt darüber auf, dass das Lernen jeder Sprache wertvoll und wichtig ist und auch, dass der Lernzuwachs durch einen guten Unterricht in der/den Erstsprache(n) auch dem Lernen und den Fähigkeiten in Deutsch und anderen Sprachen zugutekommt.
Eine Sammlung von alltagstauglichen Sprachfördertipps für Eltern, Erziehungsberechtigte und Bezugspersonen bietet das Spiralheft „PUMA für Eltern – Spielerische Sprachförderung im Alltag“ (2020) des Österreichischen Sprachen-Kompetenz-Zentrums (ÖSZ), aktuell auch in Bosnisch/Kroatisch/Serbisch, Englisch und Türkisch verfügbar.
Der Elternratgeber „Sprich mit mir und hör mir zu“ (Okay, deutsche Ausgabe 2010) für Kinder im Alter von 0-5 Jahren steht in insgesamt 17 Sprachen zur Verfügung. Die Anregungen sind großteils auch für Kinder im Grundschulbereich umsetzbar (Hinweise 2 bis 10 und 12), allerdings enthält der Elternratgeber noch keine Informationen zum Umgang mit digitalen Medien und das Kapitel zum Umgang mit dem Fernsehen ist nicht auf dem aktuellen Stand.
Brücken zwischen Sprach-, Bildungs- und Lebenserfahrungen bauen
Der DaZ-Unterricht knüpft – wie auch der Regelunterricht – an die bisherigen Sprachlernerfahrungen der Schülerinnen und Schüler mit einer oder mehreren anderen Erstsprache(n) als Deutsch an. Diese sind eng mit deren Biografien verbunden, denn Sprache steht immer in Zusammenhang mit Personen, Orten und Erlebnissen (individuelle lebensweltliche Mehrsprachigkeit). Die DaZ-Lehrpersonen regen alle Schülerinnen und Schüler an, ihren Sprachenreichtum und ihre Sprachbiografien zu dokumentieren, auch in Zusammenarbeit mit den Eltern. Alle Beteiligten (Schülerinnen und Schüler, Lehrpersonen, Eltern) können so das gesamte sprachliche Repertoire der Lernenden (individuell und als Gruppe/Klasse) kennenlernen. Für die Lehrpersonen bildet dieser Einblick eine gute Grundlage zur gezielten Einbeziehung von mehreren Sprachen in ihre Unterrichtsgestaltung. Für die Anleitung von Schülerinnen und Schülern zur sprachbiografischen Reflexion ist es für die Lehrpersonen wichtig, auch eigene sprachbiografische Erfahrungen bzw. Sprachlernerfahrungen zu reflektieren.
Mit den Materialien zum Kapitel „Sprachenrepertoires visualisieren“ (MALEDIVE) werden Lehrpersonen eingeladen, über ihre Sprachenbiografie sowie ihre Haltung gegenüber Sprachen und Mehrsprachigkeit nachzudenken. Die Webseite dieses ECML-Projekts präsentiert Lehr- und Lernmaterialien für die Lehrer/innenbildung zum Thema „Die Bildungs- und Unterrichtssprache lehren im Kontext von Diversität“.
Die Lehrperson lädt die Lernenden durch gezielte Lernaktivitäten zur Sprachreflexion ein und bindet mehr Sprachen bewusst und in geeigneter Form in den DaZ-Unterricht ein, indem sie z.B.
- Bilderbucharbeit mehrsprachig anlegt,
- mehrsprachige Leseaktivitäten anbietet, z. B. das Lesen einer Rolle in der jeweiligen Erstsprache,
- Aufnahmen der Schülerinnen und Schüler bei der Präsentation mehrsprachiger Lieder, Reime und Texte ermöglicht,
- Fachinhalte in den Erstsprachen recherchieren lässt,
- in Schreibaufgaben die Schülerinnen und Schüler ermutigt, auf ihr gesamtes sprachliches Repertoire Bezug zu nehmen, etwa in der Sammlung von Ideen oder für den ersten Entwurf eines Textes,
- Sprachenvergleiche anregt auf morphologischer, syntaktischer und konzeptueller Ebene – z.B. die Zeitung – giornale (ital., Aspekt des täglichen Erscheinens), newspaper (engl., Aspekt der Neuigkeiten auf Papier).
Eine Zusammenarbeit mit dem Erstsprachenunterricht erleichtert es der Lehrperson, die Erstsprachen der Schülerinnen und Schüler aktiv und (anlassbezogen) gezielt einzubinden und die gesamtsprachliche Kompetenzentwicklung der Schülerinnen und Schüler in den Blick zu nehmen.
Wissen über Sprache(n) und Sprachlernen vermitteln
Auch wenn die Lehrperson nicht alle oder keine der Erstsprachen der Schülerinnen und Schüler beherrscht, kann sie sie im Unterricht einbinden. Sie eignet sich Grundwissen zum Aufbau der Sprachen an und setzt sich mit den Unterschieden zum Deutschen auseinander, um Fehler analysieren, Interferenzen erkennen und Lernpotentiale durch Sprachvergleiche ermitteln zu können.
Sprachensteckbriefe finden sich auf der Internetplattform Schule-mehrsprachig des BMBWF, Sprachbeschreibungen auf der Internetseite des Modellprojekts ProDaZ der Universität Duisburg/Essen.
Mehrsprachigkeit bietet den Schülerinnen und Schülern Vorteile beim Sprechen über Sprache (metasprachliche Perspektive) und bei der Entwicklung von Sprachbewusstsein (Akbulut, Bien-Miller & Wildemann, 2017). Die Lehrperson erhält dadurch besondere Möglichkeiten der Sprachbetrachtung und Sprachreflexion im DaZ-Unterricht, da sie sprachvergleichend arbeiten kann.
Das KIESEL-Paket des Österreichische Sprachen-Kompetenz-Zentrums (ÖSZ) bietet Unterrichtsmaterialien, Spiele, Sprachvergleiche und Hörbeispiele für eine Entdeckungsreise durch die Welt der Sprachen. Mit der Reihe KIESEL neu – Materialien zur Mehrsprachigkeit knüpft das ÖSZ an die erfolgreiche zehnbändige Reihe an.
Die Schülerinnen und Schüler bringen eine individuelle Sprachlernkompetenz mit, die die Lehrperson aufgreift und aktiv ausbaut. Sie vermittelt Sprachlernstrategien, deren Verwendung dazu beiträgt, dass die Schülerinnen und Schüler ihren Wortschatz und ihre Sprachhandlungsfähigkeit erweitern, mündliche und schriftliche Texte verstehen und metasprachliche Betrachtungen einsetzen.
Akbulut, M., Bien-Miller, L. & Wildemann, A. (2017). Mehrsprachigkeit als Ressource für Sprachbewusstheit. Zeitschrift für Grundschulforschung. Bildung im Elementar- und Primarbereich, 2/2017, 61–74.